Einblick in die NFL: Wie Quarterbacks das Spiel lesen

Der Quarterback: Kein einfacher Ballwerfer, sondern ein strategischer Denker unter höchstem Druck. Dieser Artikel enthüllt die komplexen kognitiven Prozesse im American Football.

Fabian Weigl
Lesezeit: 23 Min.
CHICAGO, IL - OCTOBER 08: Tampa Bay Buccaneers Quarterback Tom Brady (12) adjusts his helmet prior to game action for a
Foto: IMAGO / Icon SMI

Zusammenfassung

  • Quarterbacks: Schachspieler im Helm.
  • Pre- & Post-Snap Reads entscheidend.
  • Progression: Dynamisches Entscheidungsystem.
  • Blitz-Management: Antwort oder Falle?

1. Einleitung: Die Schachspieler im Helm

Ein Quarterback steht nicht einfach nur hinter dem Center und wartet auf den Snap. Er ist ein Dirigent, ein Analytiker, ein Spieler mit Überblick – ein Schachmeister im Helm, der nicht nur seinen nächsten Zug plant, sondern die Reaktion der Verteidigung gleich mitdenkt. Und das unter massivem Zeitdruck.

Bevor der Ball überhaupt in Bewegung gerät, beginnt für ihn ein komplexer Analyseprozess: Wer steht wo? Was verrät die Aufstellung der Defense über ihre Absichten? Wo liegen potenzielle Schwächen? Und wo – ganz entscheidend – könnten sie etwas vorspielen, das sich als Falle entpuppt?

Das Spiel beginnt also nicht mit dem ersten Schritt zurück ins Backfield, sondern in dem Moment, in dem der Quarterback an die Line of Scrimmage tritt. Dort beginnt das Lesen, Vergleichen, Einordnen. Er scannt Safeties, zählt Spieler in der Box, achtet auf das Verhalten der Linebacker und nutzt vielleicht sogar eine Motion, um zusätzliche Informationen zu sammeln. Jeder kleine Hinweis kann über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.

Denn im modernen Football gilt: Der beste Blitz ist nur so gut wie die Antwort, die er provoziert. Die Defense kann täuschen, rotieren, Druck aufbauen – doch all das bringt nichts, wenn der Quarterback das Puzzle erkennt und die richtige Entscheidung trifft. Er ist das Nadelöhr, durch das jede Information, jede Bewegung, jeder Gegenspieler hindurchmuss, bevor der Ball fliegt.

Dieser Artikel beleuchtet genau diesen kognitiven Teil des Spiels. Wir zeigen, wie Quarterbacks Informationen vor und nach dem Snap verarbeiten, welche Täuschungen sie erkennen müssen, und wie sie ihre Reads strukturieren. Außerdem werfen wir einen genauen Blick auf das Konzept der Progression – das oft falsch verstanden wird, aber zentral für das Spielverständnis auf NFL-Niveau ist.

Denn während außen der Kontakt tobt, entscheidet sich im Inneren der Spielzug. Im Bruchteil einer Sekunde. Im Kopf des Quarterbacks.

2. Pre-Snap Reads – Das erste Puzzle

Bevor der Ball überhaupt in Bewegung gerät, beginnt die eigentliche Arbeit. Die Sekunden vor dem Snap sind für einen Quarterback so entscheidend wie der erste Blick eines Schachspielers aufs Brett: Wer ist wo positioniert? Was ergibt das für ein Bild – und was fehlt?

Die Informationsquellen vor dem Snap

Quarterbacks analysieren in diesen Sekundenbruchteilen eine Vielzahl von Elementen:

Die Defensive Front

Wie viele Spieler stehen an der Line of Scrimmage? Wie sind sie verteilt? Ein „Even Front“ mit vier Down-Linemen unterscheidet sich in ihrem Potenzial fundamental von einer „Odd Front“ mit nur drei Linemen und einem zusätzlichen Linebacker, der flexibel agieren kann. Daraus lassen sich Rückschlüsse auf Run-Fits und mögliche Blitzpfade ziehen.

Box Count & Gap Integrity

Wie viele Defender stehen in der „Box“ – dem Bereich direkt vor dem QB, zwischen den Tackles? Ist die Box „leicht“, kann ein Run audiblet werden. Ist sie „loaded“, droht vielleicht ein Blitz. Zählt der Quarterback hier falsch oder zu spät, läuft das Play direkt in die Wand.

Die Safeties: Schlüssel zur Coverage

Ein einzelner Safety tief? Könnte auf Man Coverage oder Cover 3 hindeuten. Zwei Safeties tief? Ein Indiz für Cover 2 oder Quarters. Doch Vorsicht: Moderne Defenses rotieren spät, zeigen absichtlich ein anderes Bild, um den QB zu täuschen. Pre-Snap ist oft nur der erste Hinweis – kein endgültiges Urteil.

Die Cornerbacks: Press, Bail, Soft?

Wie verhalten sich die Cornerbacks? Press Coverage bedeutet: möglicher Man-Look. Spielen sie soft oder in Off-Zone, ist eine Zone oder Pattern-Match möglich. Doch auch hier gilt: nichts ist sicher – alles ist inszeniert.

Motion: Das Testinstrument der Offense

Eine der wichtigsten Waffen im Pre-Snap-Arsenal ist Motion. Wenn sich ein Receiver bewegt – etwa von rechts nach links – und ein Verteidiger ihm folgt, deutet das auf Man Coverage hin. Bleibt die Defense statisch, ist Zone wahrscheinlich.

Doch Motion ist nicht nur ein Test – sie ist auch ein Werkzeug: Sie verschiebt den Schwerpunkt der Defense, verändert Hebel und Timing. Besonders Offenses wie die von Sean McVay, Kyle Shanahan oder Mike McDaniel nutzen diese Bewegung, um nicht nur Antworten zu provozieren, sondern die Fragen selbst zu diktieren.

Audibles und Adjustments

Ein guter Quarterback sieht all das – und entscheidet, ob der geplante Spielzug noch passt. Ist das Bild vor ihm nicht vorteilhaft, ruft er ein Audible. Ein Run wird zu einem Pass, ein Inside Zone zu einem Stretch. Oder nur ein Protection Call wird verändert, weil ein zusätzlicher Rusher droht. Das sind keine improvisierten Eingebungen, sondern einstudierte Mechanismen: Wenn das Bild X zeigt, spiele Y.

In komplexeren Offenses gibt es sogenannte Check-with-me-Konzepte: Zwei Spielzüge werden gecallt, der QB entscheidet je nach Read, welchen er spielt. Es ist Football auf Metaebene.

3. Post-Snap Realitäten – Was passiert wirklich?

Was der Quarterback vor dem Snap liest, ist oft nur ein vorgeschobener Vorhang. Die eigentliche Wahrheit offenbart sich erst in dem Moment, in dem der Ball in seine Hände gleitet – und die Defense ihr wahres Gesicht zeigt.

Täuschung als Verteidigungsprinzip

In den oberen Ligen – besonders in der NFL – sind Pre-Snap Reads nicht das letzte Wort, sondern der erste Test. Defenses wissen, was Quarterbacks sehen wollen. Sie zeigen gezielt Cover 2 mit zwei tiefen Safeties – nur um im Moment des Snaps blitzartig in Cover 1 oder einen Robber-Look zu rotieren. Sie präsentieren eine Box mit nur sechs Mann – doch plötzlich stürzt ein Nickel-Corner in den Blitz.

Das Ziel? Den Quarterback zu zwingen, in der Hitze des Moments neu zu denken. Denn was wie eine saubere Zone aussah, ist plötzlich Man Coverage mit zusätzlichem Pressure. Und was wie ein harmloser 4-Man-Rush wirkte, wird zur Overload auf der Blind Side.

Beispiele dafür gibt es zuhauf:

  • Die Baltimore Ravens etwa sind Meister darin, Blitzes zu verstecken und Linebacker nach dem Snap in Coverage droppen zu lassen.
  • Bill Belichicks Patriots zeigten jahrelang standardisierte Cover-2-Shells, die sich spät in hybride Coverages auflösten.
  • Und Vic Fangio prägte ein Defense-Modell, das den Quarterback einlädt, die falsche Antwort zu geben.

Reaktion unter Zeitdruck

Im Moment nach dem Snap muss der QB blitzschnell entscheiden:
Bleibt die Defense bei dem, was sie gezeigt hat – oder kippt das Bild?

Dazu muss er:

  • Safeties „lesen“: Rotieren sie? Kommt einer runter ins Flat? Geht ein anderer in die Mitte?
  • Linebacker beobachten: Droppen sie in Zone? Oder bringen sie Druck?
  • Kantenspieler einordnen: Kommen sie im Blitz oder halten sie contain?

Hier beginnt der Unterschied zwischen einem durchschnittlichen und einem elitären Quarterback: Nicht, wie viele Plays er auswendig kennt – sondern wie schnell er neue Informationen integriert. Die Fähigkeit, nach dem Snap Informationen zu verarbeiten, ist der Kern von processing speed – dem vielleicht wichtigsten Prädiktor für NFL-Erfolg auf dieser Position.

„Hot Reads“ und Verantwortung bei Druck

Wenn sich herausstellt, dass ein Verteidiger frei zum Quarterback durchkommt, obwohl der Blitz nicht vollständig abgefangen wurde, muss der Ball schnell raus – oft auf einen sogenannten Hot Route Receiver. Das ist nicht Improvisation, sondern Design: Bei erkennbarem Druck wird z. B. ein Slant oder ein Flat-Weg als sofort verfügbare Option eingebaut.

Hierbei kommunizieren Quarterbacks und Receiver oft nonverbal. Ein Blick, ein Handzeichen, ein angepasstes Release – und der Ball ist auf dem Weg, bevor der Pass Rush ihn stoppen kann. Es ist ein Spiel mit Millisekunden.

Ein kontrolliertes Chaos

Der Post-Snap-Moment ist ein kontrolliertes Chaos:

Was vorher geplant war, wird getestet. Was vorher klar schien, wird in Frage gestellt. Und was vorher nur eine Idee war, muss jetzt in Entscheidung und Wurf übersetzt werden.

Quarterbacks, die in diesen Momenten nicht nur reagieren, sondern agieren, verändern Spiele. Sie sind es, die einen Blitz nicht nur überstehen – sondern bestrafen. Sie machen aus einem scheinbar verlorenen Play ein First Down. Oder einen Touchdown. Nicht, weil sie improvisieren – sondern weil sie verstehen.

4. Progression – Lesen unter Druck

„Er geht durch seine Progressions“ – dieser Satz fällt oft in TV-Kommentaren. Gemeint ist: Der Quarterback scannt nacheinander seine Receiver. Aber das greift zu kurz. Denn Progression ist kein stures Abhaken von Optionen, sondern ein dynamisches System – ein Entscheidungsbaum in Echtzeit.

Was Progression wirklich bedeutet

Progression beschreibt die Art und Weise, wie ein Quarterback seine Wurfentscheidungen strukturiert – abhängig vom Play Design, der Defensive Coverage und der Spielphilosophie. Dabei gibt es verschiedene Arten von Progressions, die auf unterschiedliche Weise durchlaufen werden:

1. Pure Progression Read (statisch)

Ein klassisches „If-Then“-System:

1 → 2 → 3 → Checkdown.

Beispiel:

Bei einem Levels-Konzept gegen Zone schaut der QB zuerst auf die tiefe In-Breaking-Route, dann auf die mittlere, dann auf den Drag. Jeder Read wird geprüft, unabhängig von der Coverage, es sei denn, offensichtliche Pre-Snap-Anzeichen legen etwas anderes nahe. Es ist einfach, strukturiert – aber gegen disguises anfällig.

2. Coverage-Based Progression (reaktiv)

Hier entscheidet die Coverage über die Reihenfolge.

Beispiel: Bei einem Smash-Konzept wird bei Cover 2 zuerst die Corner Route geprüft – weil die Flat durch den Cornerback abgedeckt wird. Bei Cover 3 ist es umgekehrt: Die Corner Route läuft in den Deep Third Defender, also wird der kurze Out oder Hitch relevant.

Der QB muss also lesen, wie sich die Defense nach dem Snap verhält, und daraufhin seine Reihenfolge festlegen. Hier kommt Processing Speed ins Spiel – und Football-IQ.

3. Half-Field Reads (konzentriert)

Oft bei Rollouts oder schnellen Konzepten eingesetzt.

Nur eine Seite des Feldes wird gelesen – meist mit zwei klaren Optionen (z. B. High-Low). Ideal für junge Quarterbacks oder gegen heavy Pressure, weil die Entscheidung schneller fällt.

Beispiel: Rollout Right → Flood-Konzept →

1: Deep Out

2: Flat

3: Run Option

4. Full-Field Progression (komplex)

Kommt seltener vor – oder nur, wenn Zeit und Protection da sind. Der QB liest die Defense von einem äußeren Receiver über die Mitte zur anderen Seite durch. Voraussetzung: Ein klarer Pre-Snap-Read, der genug Hinweise gibt, ob sich ein solcher Scan lohnt.

Beispiel: Quads-Look gegen Zone, mit isoliertem X-Receiver. Wenn X gegen Man press steht und die Safety-Tiefe passt, kann der QB dort „isolieren“. Sonst durch die Zone-Kombination auf der anderen Seite arbeiten.

Timing, Vertrauen und Antizipation

Progression heißt nicht „abwarten“. Wer zu lange sucht, ist zu spät. Gute Quarterbacks werfen, bevor der Receiver offen ist – weil sie die Coverage, die Route und das Timing verstehen. Antizipation ist das Produkt aus Vertrauen ins Scheme, Wiederholungen im Training und Film Study.

Bestes Beispiel: Tom Brady war selten der athletischste oder stärkste Werfer – aber seine Progressions waren messerscharf. Er war selten überrascht. Er war bereit, bevor die Defense es war.

Der Feind: Hesitation

Zögern ist tödlich. Wer zwischen Option 1 und 2 schwankt, gibt dem Pass Rush ein Zeitfenster. Progression ist nicht nur ein mentaler Vorgang – sie ist rhythmisch, fast musikalisch. Jeder Read hat ein Zeitfenster, ein Schlagmaß. Und wenn man den Moment verpasst, ist das ganze Play off.

Play Design trifft Spielverständnis

Gute Coordinators bauen Progressions in ihre Konzepte ein:

  • High-Low-Kombinationen, um Zonen zu strecken
  • Floods, um eine Seite zu überladen
  • Mesh-Konzepte, um Man Coverage zu schlagen

Aber ohne einen Quarterback, der sie lesen und ausführen kann, sind sie nur Linien auf Papier.

Ein Quarterback, der seine Progressions beherrscht, bestraft schlechte Coverage, reagiert auf Rotation, findet Mismatches – und weiß, wann ein Checkdown besser ist als ein erzwungener Hero-Wurf.

Er gewinnt nicht spektakulär, sondern systematisch.

5. Entscheidungszeit – Was macht den Elite-QB aus?

Wenn der Ball gesnappt ist, beginnt der Countdown. Der Pass Rush nähert sich, Zonen verschieben sich, Fenster öffnen sich für Sekundenbruchteile – und dann sind sie wieder zu. Genau in dieser Phase zeigt sich, ob ein Quarterback ein Spielverwalter ist. Oder ein Spiellenker.

Denn Entscheidungsfindung ist keine Frage der Intelligenz allein. Sie ist ein Zusammenspiel aus Vorbereitung, Intuition, Training – und Mut.

Processing Speed: Die unterschätzte Superkraft

In der NFL geht alles schneller. Defenses rotieren nicht nur, sie verschleiern. Sie blitzen nicht frontal, sondern aus versetzten Winkeln. Sie schicken Spieler in Coverage, die dort eigentlich nichts verloren haben. Umso wichtiger ist, wie schnell ein Quarterback neue Informationen erkennt und integriert.

Processing Speed beschreibt genau das:

  • Wie schnell erkennt der QB, dass der Pre-Snap-Read nicht mehr gültig ist?
  • Wie flüssig geht er in seinen nächsten Read über?
  • Wie rasch verarbeitet er, ob sein erster Wurfpunkt gedeckt ist – und wo sich ein besseres Fenster auftut?

Es ist die Geschwindigkeit des Verstehens unter Stress.

Beispiel: Joe Burrow. Seine Reads sind selten spektakulär – aber er ist da, bevor du ihn kommen siehst. Der Ball kommt genau dann, wenn der Defender noch denkt, das Fenster wäre zu.

Antizipation vs. Reaktion

Der Unterschied zwischen einem durchschnittlichen und einem elitären Quarterback liegt nicht im Arm – sondern im Wurfzeitpunkt.

  • Ein reaktiver Quarterback sieht, dass ein Receiver offen ist – und wirft dann.
  • Ein antizipativer Quarterback erkennt, dass ein Receiver offen sein wird – und wirft dorthin.

Dieser Unterschied ist entscheidend. Denn bis der Ball ankommt, hat sich die Defense bereits verschoben. Wer zu spät wirft, füttert die Coverage. Wer zu früh wirft, kann das Timing stören. Wer aber genau richtig wirft, zerlegt Systeme.

Brady. Brees. Manning. Sie alle waren Meister der Antizipation. Sie lebten nicht von Improvisation – sondern vom Rhythmus.

Vertrauen in das System – und in sich selbst

  • Ein Quarterback, der zögert, weil er dem Play nicht vertraut, verliert Zeit.
  • Ein Quarterback, der zögert, weil er sich selbst nicht traut, verliert Kontrolle.

Elitäre Quarterbacks wissen: Nicht jeder Read ist klar, nicht jede Coverage lösbar. Aber der Ball muss raus – und zwar mit Überzeugung. Dabei spielt die Vorbereitung eine zentrale Rolle. Filmstudy. Reps im Training. Timing mit Receivern. All das ergibt die Grundlage für spontane Entscheidungen, die trotzdem geplant sind.

Oder wie Aaron Rodgers einmal sagte:

„Manchmal weiß ich gar nicht, warum ich geworfen habe – ich wusste nur, dass es richtig war.“

Mut, Fehler zu riskieren

Die besten Quarterbacks treffen nicht immer die sichere Entscheidung – sondern die richtige. Das bedeutet manchmal: Tight Window. Third Down. Hit incoming. Aber ein guter QB hat keine Angst vor Fehlern. Er kalkuliert sie ein. Und übernimmt Verantwortung.

Dazu gehört auch: Der Wurf ins Aus, wenn nichts da ist.

Ein Play zu begraben, ist keine Schwäche – sondern ein Zeichen für Spielverständnis.

Zwischen Chaos und Kontrolle

Entscheidungszeit ist keine Zeit im klassischen Sinn. Es ist ein Gefühl.

Ein Moment zwischen Struktur und Intuition. Zwischen „Was habe ich gesehen?“ und „Was erwarte ich jetzt?“.

Der elitäre Quarterback erkennt diese Momente nicht nur –er lebt in ihnen.

6. Der Blitz als Test – Antwort oder Falle?

Ein Blitz ist eine Herausforderung. Für die Protection. Für die Receiver. Für den Spielzug. Aber vor allem: für den Quarterback.

Denn der Blitz testet nicht nur, ob ein Play funktioniert – sondern ob der Quarterback versteht, warum es funktioniert. Oder eben nicht.

Der Blitz als Frage

Wenn die Defense einen Blitz callt, stellt sie eine Frage:

  • Weißt du, dass wir kommen?
  • Hast du eine Antwort vorbereitet?
  • Und traust du dich, sie zu spielen?

Dabei geht es nicht um rohe Gewalt. Blitzes sind keine stumpfen Waffen. Sie sind Werkzeuge, die Präzision, Timing und Täuschung kombinieren. Oft sollen sie nicht einmal den Sack produzieren – sondern eine falsche Entscheidung erzwingen.

Ein Blitz, der den Ball zu früh aus der Hand zwingt, kann einen Read unterbrechen, ein Fenster versperren, ein Timing zerstören.

Die Antwort liegt im Play Design

Moderne Offenses wissen das. Und sie bauen ihre Antworten gleich mit ein:

  • Hot Routes: Receiver, die sich sofort zur Verfügung stellen, sobald die Protection bricht. Oft Slants, Hitches, Flats – kurz, schnell, zuverlässig.
  • Sight Adjustments: Der Receiver sieht denselben Blitz wie der Quarterback – und passt seine Route an. Aus einem tiefen Crosser wird ein schneller Curl. Aus einem Corner wird ein Pivot. Und der QB muss mitgehen – instinktiv.
  • Built-In Blitz Beaters: Konzepte wie Mesh, Stick, oder Quick Flood-Varianten sind speziell dafür gemacht, den Blitz zu „bestrafen“, statt ihm auszuweichen.

Beispiel: Mahomes gegen Cover Zero. Die Defense bringt sechs Mann, die Corner stehen auf Inseln. Mahomes bleibt ruhig, wirft den Back Shoulder auf seinen isolierten Receiver – Touchdown. Blitz gecallt. Antwort geliefert.

Der QB als Blitz-Manager

Ein guter Quarterback erkennt den Blitz nicht nur – er managt ihn:

  • Er identifiziert die gefährlichste Bedrohung: Woher kommt der Extra-Rusher?
  • Er verschiebt den Protection Call oder den Running Back als Hilfe.
  • Er überprüft die Route-Kombination auf der „heißen Seite“.
  • Und er bleibt ruhig. Denn Panik ist der wahre Feind unter Druck.

Quarterbacks wie Peyton Manning oder Drew Brees waren in dieser Hinsicht Meister. Sie brauchten keinen „Scramble Drill“. Sie brauchten eine Antwort. Und sie hatten sie bereit – bevor der Ball gesnappt wurde.

Wenn der Blitz verpufft

Die Ironie: Der Blitz ist ein Risiko. Wenn er nicht zum Ziel führt – öffnet er Räume.

Wird der Ball schnell geworfen, sind dahinter nur noch wenige Verteidiger. Eine verpasste Tackle – und der Schaden ist groß.

Gute Quarterbacks wissen das. Und sie nutzen den Blitz gegen die Defense. Nicht nur zur Schadensbegrenzung – sondern als Gelegenheit für Explosivität.

Antwort oder Falle?

Ein Blitz will den Quarterback testen. Seine Vorbereitung. Seine Übersicht. Seine Kontrolle.

  • Für manche wird er zur Falle.
  • Für andere wird er zur Einladung.

Denn der Blitz stellt eine Frage. Aber nur elitäre Quarterbacks geben die Antwort, bevor sie überhaupt ausgesprochen wurde.

7. Kontrolle im Chaos – Fazit und Ausblick

Das Spiel des Quarterbacks ist ein Spiel der Information. Ein Spiel der Wahrnehmung. Ein Spiel im Spiel.

Von außen sieht man oft nur den Wurf – oder den Fehler. Doch das Entscheidende liegt dazwischen: In den Sekunden vor dem Snap, in den Millisekunden danach, in den Gedanken, die der Ball begleitet.

Quarterbacks sind keine bloßen Armverlängerungen des Coordinators. Sie sind Analysten unter Beschuss. Sie erkennen Muster, die andere nicht einmal sehen – und reagieren, während alles andere beschleunigt.

Ein Blitz ist nur dann gefährlich, wenn er unbeantwortet bleibt. Ein Read ist nur dann sinnvoll, wenn er im Takt des Plays gedacht ist. Und Progression bedeutet nicht, Optionen abzuhaken – sondern Rhythmus und Entscheidung zu verbinden.

Was den Elite-Quarterback ausmacht, ist keine Superkraft. Es ist ein Verständnis für Struktur im Chaos. Die Fähigkeit, Ordnung in Bewegung zu erkennen. Optionen zu priorisieren. Verantwortung zu übernehmen.

Wenn Quarterbacks lernen, auf Informationen zu reagieren – lernen moderne Offenses, diese Informationen zu steuern.

Im nächsten Artikel widmen wir uns daher den Mechanismen der Täuschung:

Play Action, RPOs und Screens – Werkzeuge, die Verteidigungen nicht lesen lassen, sondern fehlleiten. Wir zeigen, wie Offenses Flow erzeugen, Struktur simulieren und Entscheidungen erzwingen – selbst ohne perfekte Protection. Denn wer das Spiel liest, kann reagieren. Doch wer das Spiel täuscht, bestimmt die Realität.

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Fabian Weigl beschäftigt sich seit mehreren Jahren intensiv mit der NFL und der NCAA und bringt seine Begeisterung für American Football in fundierte Analysen und Berichte ein. Durch die kontinuierliche Auseinandersetzung mit Teams, Spielern und Spielstrategien hat er sich ein Wissen über den Sport angeeignet.

Beruflich ist er im Controlling tätig. Mit seinem ausgeprägten Blick für Details und aktuellen Entwicklungen möchte Fabian Weigl seine Leidenschaft für Football weiter vertiefen.

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